Der Frieden war auf der Erde eingekehrt, das Zeitalter der Weltraumfahrt war angebrochen und hatte die Menschen in ihrem Sein, in ihrer ureigenen Wahrnehmung der Wirklichkeit verändert. Wir schreiben das Jahr 2123, die Erde war ideologisch das Abbild eines einzigen Staates, die Kulturen verschmolzen, die Rassen vereinten sich zu einer einzigen, gültigen Variante des lebenden und handelnden Menschen. Feindbilder gab es noch immer unter den Menschen. Die Außenhandelsabkommen der Ersten Welt schufen große Probleme: die Untergeordneten mussten produzieren, die Übergeordneten wiesen mit unglaublicher Härte, deren Arbeiter in ihre Schranken. Die vorherrschende Kraft musste ihren Status verteidigen. Die letzten Bürgerkriege lagen längst zurück, die Ölkrise war überwunden. Die Menschen setzten sich für den Schutz des Planeten, der Artenvielfalt und die Umwelt redlich ein – so wie es längst der Fall sein hätte sollen. Dennoch war im Verborgenen der absolute Wille, das Menschsein im Gesamten weiterzuentwickeln, die letztmögliche rationale Entscheidung der Beteiligten.  Als man mit Hilfe der Raumfahrt in der Unendlichkeit des Universums, in der der Wahrnehmung des Gesamten, naheliegenderweise auf intelligentes, überlegenes Leben gestoßen war, wurde die kollektive Angst verlegt. Sie wurde projiziert auf ein Neues, vollkommen unbekanntes, imaginäres Feindbild. UFOS waren nicht mehr der Stein des Anstoßes – Aliens wurden zur Realität. Fortschritt und Wissenschaft waren die Grundlage der vorherrschenden Gesellschaft. Das Überleben der Spezies musste gesichert werden, und zwar für alle, in dieser besonderen Welt lebenden, Organismen. Die Menschen wollten vorbereitet sein, sie wollten sich schützen, ihren Kindern Sicherheit bieten – doch es kam anders, die Anderen waren keine Freunde und der Mensch reagierte mit Feindseligkeit, mit Ablehnung des Andersartigen. So wie immer.

    Für Takoumi war die Schule, die Akademie der Wissenden, beendet. Er genoss gerade sein eigenes, besonderes Stück Kuchen, das er von seiner Mutter serviert bekommen hatte. Es war köstlich. Es war ein Früchtekuchen. Er dachte gerade wieder einmal nach, wie es wohl sein würde, in der Raumfahrt, als Pilot, in neue, unbekannte Territorien vorzudringen, sie zu erforschen, sie zu erleben. Die Neue Ordnung suchte für diese langen Reisen immer sehr junge Rekruten. So immens große Distanzen konnten nur mit einem Vorwärtsmoment nahe der Lichtgeschwindigkeit erreicht werden. Nur alle n-dimensionalen Energiequellen, die scheinbar, gleich eines perpetuum mobiles, unerschöpfliche Quellen vortäuschten, konnten für dieses Vorhaben herbeigezogen werden. Das grundlegende Problem dabei war jedoch, dass eben jenen Quellen der Energie nicht wirklich bis zur Unendlichkeit vorhanden waren. Der vorgetäuschte Allmachtsanspruch der Neuen Ordnung war unrealistisch, geradezu fiktiv – und Eingeweihte wussten das, das dienende Volk nicht.

Es gab den Kryoschlaf. Die Piloten mussten allerdings diesen komatösen Zustand manchmal verlassen, um Kurskorrekturen vorzunehmen, jedes Aufwachen, jedes Reaktivieren, bedeutete eine Verminderung der aktiven Jahre in den Kolonien. Aufwachen war gleichgesetzt mit vorzeitigem Tod. Bisher hatten die Menschen zwanzig Kolonien in dieser Galaxie gegründet – sie waren wachsame, stets skeptische Eroberer, überzeugt von ihrer ureigenen Mission. Davon waren fünf der Siedlungen bereits recht ansehnlich groß. Die Aliens, auf die sie gestoßen waren, nannten sie die Anderen. Sie konnten mit ihnen nicht direkt kommunizieren. Nur ein mathematisches Deuten ihrer Spuren war möglich. Es war eine direkte Bestätigung dessen, dass Mathematik sehr wohl eine universelle Sprache ist. Doch eben genau das machte den Menschen Angst. Die Anderen schienen bis jetzt friedlich zu sein, obwohl sie, so fand man heraus, viel bessere Schiffe, Ausrüstung und Waffen hatten, als die Menschen. Lange würde es nicht mehr dauern, bis sie die Erde entdecken würden. Bis jetzt war es nur passiv deutende Kommunikation, mit dem Ziel selbst unsichtbar zu sein. Was würde aber dann passieren, wenn sie entdeckt werden würden? 

Takoumi wurde von seiner Mum aus dem Tagtraum gerissen. „Hey Takoumi, Tagträumer, du hast zwar Geburtstag, musst aber trotzdem in die Schule. Die paar Tage stehst du doch auch noch durch.“. Widerwillig stand Takoumi auf, er fühlte sich bereits als Rekrut, nahm sein CommPad und verließ die Wohnung. Er stieg in das CommTaxi, das ihn zur Schule bringen würde. Fahren war mittlerweile überflüssig geworden – die Fahrzeuge fanden das Ziel vollkommen autonom, gesteuert von einer zentralen artifiziellen Intelligenz mit dem Namen CommTopos. So etwas wie Führerscheine waren überflüssig geworden – Transport war auf den Planeten technisiert und automatisiert worden. CommTopos machte seine Sache erstaundlich gut, hatte aber absolut keinen Zugang zum Gesamtnetz InterComm, weil man befürchtete, dass die künstliche Intelligenz, die natürliche Schwelle zum Bewusstsein überwinden konnte. Die Angst vor Artificial Intelligence war übermäßig groß, die Menschen waren sehr vorsichtig – und das war auch gut so. Ein Skynet, wie bei dem antiken Film Terminator durfte es einfach nicht geben.

Takoumi hatte alle Abschlussprüfungen bestanden – und das mit Auszeichnung. Seine Eltern waren stolz auf ihn. Heute war der Tag, an dem er in die Akademie aufgenommen wurde, endlich. Die Vorfreude war riesig. Sein Vater begleitete ihn im CommTaxi zum Bahnhof, von wo er in die Weltstadt Thelema reisen würde. Die Transportmittel für die Massen waren unheimlich groß. Riesige CommGleiter, die tausenden Menschen fassen konnten, brachten sie an verschiedene Orte dieser Erde. Für Takoumi war es das berühmte erste Mal, eine lang erwartete Premiere. Er verabschiedete sich von seinem Vater mit einer innigen, liebevollen Umarmung. Tränen liefen ihm über die Wangen. Dann nahm er seine Reisetasche und betrat die, für ihn vorgesehenen Gates. Sein Reisedokument, in Form einer holographisch gedruckten, transparenten CommCard, wurde am Terminal zum letzten Mal bestätigt – er befand dich auf der richtigen Rampe. Schließlich betrat er direkt die Tür des CommGleiters. Das Innere war atemberaubend, luxuriös, technisch am neuesten Stand. Dreißig, ja dreißig Stöcke waren nur für die Rekruten, für die Reisenden, vorgesehen. Takoumi betrat den Lift, wählte ein Stockwerk aus und setzte sich an einem Platz, nahe der überdimensional großen Fensterreihe. Bereits nach einigen Minuten – alle Gäste waren an Bord, startete der Gleiter. Ruhig, nachdenklich langsam und kaum spürbar, setzte er sich in Bewegung. Dennoch, und das war absolut faszinierend, dauerte der Flug in die Weltstadt Thelema, die am anderen Ende des Planeten lag, kaum mehr als dreißig Minuten. 

Die Stadt war gewaltig, riesig – die Grenzen waren kaum wahrnehmbar. Takoumi beäugte entzückt Gebäude, von einer Größe, die er noch nie zuvor gesehen hatte.  Von Erzählungen wusste er, dass die Stadt vertikal mehrere Kilometer hoch war. Im untersten Bereich vegetierten die Ärmsten vor sich hin und mussten Schwerstarbeit in den Produktionsstätten der wenigen Bereiche, die noch nicht vollkommen automatisiert worden waren, leisten. Ein tristes, monotones, deprimierendes Dahinleben, ohne der Chance, sich in einen höheren Bereich hinaufzuarbeiten. Prostitution, Perversion, Gewalt, Verbrechen waren die Eckpfeiler der Untersten. Die mittlere Ebene war die Ebene der Struktur, der Verwaltung. Dort arbeiteten Beamte, die einen höheren Lebensstandard für sich beanspruchen konnten – Sklaven aber waren sie dennoch. In diesem Bereich, in der Struktur, befand sich die gesamte Verwaltung seiner Welt und damit einhergehend auch die Macht über den Planeten. Es war der Bereich der künstlichen Intelligenzen. Der oberste Bereich, der Bereich des Himmels beheimatete die wenigen, außerhalb der offiziellen CommStruktur lebenden Reichen und Mächtigen – doch niemand reflektierte die Situation dahingehend wertend – diese Menschen waren einfach vorhanden. Sie waren dem normalen CommBürger absolut nicht zugänglich, hatten einen so absolut abgehobenen Status, dass sie für den einfachen Arbeiter und Rekruten nur schemenhaft wahrgenommene, nebulöse Entitäten darstellten. Nicht einmal deren Existenz war gesichert. Die Menschen lebten in Ungewissheit – in Unsicherheit.

In der Akademie angekommen, musste Takoumi zahlreichen Untersuchungen, sowohl körperlicher als auch psychologischer Natur, in Form von psychometrischen Leistungstests, über sich ergehen lassen. Er hatte seltsamerweise noch keinen anderen Rekruten gesehen, getroffen – er war vollkommen isoliert. Diese Tortur schien eine Ewigkeit zu dauern. Erst drei Tage nach seiner Ankunft, wurde er aus der notwendigen Quarantäne entlassen und in die eigentliche Akademie aufgenommen. Obwohl er einer reichen und sicheren Stadt entstammte, schien er dennoch kontaminiert zu sein. Takoumi stellte schließlich fest, dass er es hier mit hunderten anderen Auszubildenden seines Alters, sowohl Mädchen als auch Jungen, gescreened wurde. Die Geschlechter wurden nicht strikt getrennt, wie in seiner Schule – dies verwunderte Takoumi ein wenig, missfiel ihm jedoch verständlicherweise nicht. Nach ein paar Tagen wurde die Atmosphäre lockerer, vertrauter und er freundete sich zunächst zaghaft mit einigen anderen Rekruten an. Er blieb allerdings vorerst noch etwas auf Distanz. Das war so seine Art. Er wollte sicher gehen, dass die Menschen, mit denen er verkehrte, auch wirklich ehrlich, wirklich vertrauenswürdig waren. Er lernte ein Mädchen kennen, das unvermittelt plötzlich eine außergewöhnliche Bedeutung in seinem Leben erlangte. Langsam, aber sicher verliebte er sich in Iana. Ihre dunklen Augen, ihr sanftes, aber dennoch starkes Gemüt, ihre langen, im Übermaß vorhandenen Haare, überwältigten seine Sinne. Er hatte sich noch nie in einen anderen Menschen verliebt, kannte dieses mächtige, alles umfassende Gefühl nicht – es war neu für ihn, spannend, erregend und sein Herz erfüllend.

Leise stöhnend bewegte sich Iana über Takoumi, in dessen großzügiger Privatunterkunft auf und ab. Mit verzückter Miene, schwer atmend, ihre Haare im Gesicht rhythmisch bewegend, genoss sie das Jetzt. Er war sehr erregt und er wusste, wenn er ihr schönes Gesicht und ihren wunderschönen Körper noch länger anstarren würde, wäre die Erfüllung seiner Sehnsüchte bald vorbei. Und das, genau eben das, wollte er auf keinen Fall. Leider aber, überwältigt von ihrer Lust, konnte er sich keine weitere Sekunde mehr halten und ejakulierte in ihr viel zu schnell, zu abrupt, seine primitivsten Instinkte hatten absolute Macht über ihm.

Augenscheinlicherweise wurde Sex in der Akademie stark gefördert. Genau das hatten viele Rekruten nur zu schnell, mit großem Entzücken, herausgefunden. Mit zunehmend fachlich konkreterer Schulung wurde es deutlich, dass man auf den langen Reisen im All, aufgrund der schieren zeitlichen Länge der Operationen und des Kryoschlafes einen gesicherten Nachwuchs, wie auf der Erde, benötigte. Man musste einfach sicher gehen, das eigene Überleben zu garantieren. Darum wurden auch angehende Piloten dazu ausgewählt, nicht nur diese langen Reisen durchzuführen, sondern auch für Nachwuchs und dessen Schulung zu sorgen. Graduierlich, sich weiterentwickelnd, wurden immer größere Gruppen, in größeren Schiffen, für solche Reisen rekrutiert und all diese hatten die immanente Aufgabe, besonders fleißig für Nachwuchs sorgen. Sex war ein Teil des Curriculums. Das erklärte auch das Alter: mit Fünfzehn war man hormonell bedingt, in der fruchtbarsten und sexuell aktivsten Phase des Lebens. Takoumi wollte selbst an diesem Programm teilnehmen – dies stellte die größte und komplexeste Herausforderung für einen Rekruten dar. Und außerdem liebte er Iana – und er mochte Sex. 

Die Ausbildung selbst war für Takoumi weniger hart als erwartet. Wann auch immer er konnte, zog  er sich in den virtuellen Trainingsraum zurück um mit dem CommBlaster zu trainieren oder Luftkämpfe virtuell, in einer Simulation, zu üben. Das liebte er über alles. Iana hingegen wartete ständig auf ihn, denn ihre Ausbildung zur CommInstruktorin und CommReproduktions Assistentin war weniger zeitaufwändig als die ihres Liebsten. Sie wartete sehnsüchtig, um die nächsten freien Stunden mit ihrem Freund zu verbringen. Sie hing sehr an ihm, Takoumi genoss dies sehr – alles schien perfekt zu sein. Sie teilten viele Freizeitaktivitäten, auch außerhalb der Akademie. Nach drei harten, arbeitsamen Jahren feierten sie den Abschluss. Eines jedoch trübte ihr Glück: Iana war zu ihrem Bedauern noch immer nicht schwanger. Aufgrund dieses einen Faktums wurden sie kalt und ohne Begründung getrennt. Iana kam zu den Transportern nahe der Erde und Takoumi zum Militär, zu einer Einheit am äußersten Außenposten des bekannten Universums. Er wurde widerwillig der größten Kolonie, Ultima, zugeteilt, einer der bestgeschützten extraterralen Stützpunkte der Menschheit. Seine außergewöhnlichen Fähigkeiten, mit Gleitern unter widrigsten Umständen und Umgebungen, effizient zu kämpfen, brachten ihm den Rang eines CommCommanders zweiten Ranges ein. Auf Ultima verbrachte er ein halbes Jahr. Er versuchte via ComInterstellar Kontakt mit Iana zu forcieren – dennoch brach schon nach kurzer Zeit ihre Kommunikation ab.

 Die Kolonie selbst war außergewöhnlich groß, sie befand sich auf einem Klasse eins Planeten, der der Erde nicht nur in der Größe, sondern auch in der Oberflächenbeschaffenheit sehr ähnlich war. Der Sauerstoffgehalt jedoch war höher und bedauernswerterweise die Schwerkraft auch. Doch die Umstände waren sehr günstig für die Menschen. Darum entwickelte sich die Kolonie dementsprechend schnell.

Jeden Tag flog Takoumi seine vorgegebenen Routen – er war sehr gewissenhaft. Obwohl eigentlich kein Feindkontakt hier draußen zu erwarten war, wollte er stets seine Arbeit mit bestem Wissen und Gewissen machen. Beängstigenderweise hatte er von anderen Commandern Geschichten gehört, die sehr beunruhigend waren. Es gab zwar noch keinen direkten Kontakt mit den Anderen, doch manchmal, ja manchmal, gab es seltsame Sichtungen. Der größte Außenposten war zugleich der, dessen Nähe zu den Extraterretorialen offensichtlich war. Es konnte nur eine Frage der Zeit sein, ehe es den ersten Kontakt gab. 

Der junge Commander hatte für heute seinen Dienst erledigt. Ausgleich und Entspannung suchend, ging er in die Bar auf einen Drink. Dann sah er sie, Fenja – und spontan und unvermittelt war er verzaubert. Selten hatte er ein so wunderschönes Mädchen gesehen, so anmutig, so brillant, so eindrucksvoll. Seine Hormone kochten, benebelten seinen Geist. Seine lange sexuelle Abstinenz machte sich primitiv, der eigenen hormonellen Erregung untergeordnet, bemerkbar. Er ging auf sie zu und grüßte sie freundlich.  Er blickte tief und nachdenklich in ihre hellen, aufgeweckten, strahlenden Augen. „Haben sie einen Platz frei, ich würde mich gerne zu ihnen setzen – vielleicht auf einen Drink?“. Die junge Frau wies ihm, mit einer ausschweifenden Geste, Platz zu nehmen. Einige Drinks später, die Worte fielen natürlich, unentwegt aufeinander folgend, ohne seltsam lange und peinliche Pausen, war es offensichtlich, dass es nicht bei diesem einen Treffen bleiben würde. Einen Schwips später, küssten sie sich in der Bar. Sie waren allein, die Zeit schien still zu stehen. Er kochte, sie atmete schwer. Ihr Name war Fenja. Sie war von der Kolonie. Dort geboren, machte Sie eine Ausbildung zum Commander first class. Sie sorgte für die Sicherheit jenes Teils der landwirtschaftlich bewirtschafteten Bereiche, die nahe des Kontakts waren. Sie war nur selten im inneren CommCore, daher hatten sie sich noch nie getroffen. Dieser Abend jedoch, war der richtige, der stimmigste Moment, um sich kennenzulernen. Einige Drinks später, verschwanden jegliche Spannungen, jegliche Vorbehalte. Leise, fast verstohlen verschwanden sie in der Dunkelheit und landeten im Bett der Unterkunft des jungen Commanders.

Am nächsten Morgen strich Takoumi über die nackte, zarte Haut Fenjas. Er tastete sich Millimeter für Millimeter an ihre erregten Zonen vor und küsste sie dann, fast schüchtern, ihr ergeben. Schlussendlich erlagen sie erneut, einer weiteren, morgendlichen Ektase. Müde und abgekämpft kuschelten sie Seite an Seite und schliefen noch einmal ein.

Der Alarm wurde ausgelöst. Takoumi war mit einem Schlag hellwach, er hatte Angst – dieser Alarmton war ein anderer, ein Unheil verkündender. Er eilte, so schnell er konnte, zu seinem CommGleiter. Takoumi startete, stieg empor und erreichte die Stratosphäre – in gewohnt trainierter, souveräner Weise. Er war der einzige seines Korps, der in der Luft war. Zwei Schiffe unbekannten Ursprungs näherten sich seinen Koordinaten. Die Comm Zentrale reagierte anders als erwartet, irgendwie seltsam nervös. „Sie haben Schießbefehl Commander, Second Class!“. Takoumi reagierte mit vorbereitenden Maßnahmen, nicht anders, als er es an der Akademie gelernt hatte. „Verteidigen sie die Kolonie, Commander, sie müssen auf einen Kontakt vorbereitet sein.“. Takoumi reagierte auch dieses Mal nicht, wie den allgemeinen Vorgaben entsprechend, strukturell vorgesehen – es war sich dessen absolut bewusst, dass der erste Kontakt alles weitere bedingte. Fenja hatte ihn darauf vorbereitet. Sie war immer der Meinung, dass ein neutrales Kennenlernen, ein sich gegenseitiges Achten, der einzige Weg war, ohne direkte Konfrontation, einander begegnend, sich anzunähern – in Frieden. Als weitere Befehle aus seinem CommBadge kamen, schaltete er diesen einfach ab, einfach so, ohne Worte zu verlieren. Er stellte sich den Anderen vollkommen alleine, losgelöst von allem, absolut hilflos, entgegen. Er hatte nicht vor zu schießen, keine Aggression dem Gegner gegenüber aufzubauen, zu projezieren, wenn dieser selbst keine zeigte. Hinter ihm näherte sich ein weiterer Gleiter der Kolonie. Zu seinem Bedauern stellte er fest, dass dieser die Waffen gerade aktivierte und das Schutzschild schon lange zuvor auf EMERGENCY-ENEMYASSAULT geschalten war. Takoumi wendete sein Schiff sofort und positionierte sich direkt vor den Gleiter, genauer gesagt, vor dessen aktiven Angriffsfeld. Der Ankömmling deaktivierte seine Waffen sofort. Die Anderen stoppten ihr Schiff. Keine Bewegung war erkennbar.  Sie sendeten mathematisch interpretierbare Signale – so einfach, so naheliegend, dass Takoumi instinktiv wusste, dass sie keinesfalls feindlich sein konnten. Sie kommunizierten ironischerweise mithilfe von Morse-Signalen – ein anachronistischer Weg, sich anzunähern.  Er verließ den Gleiter in seinem LatexMesh-Raumanzug und näherte sich in seinem Jetpack dem Alienschiff. Zu seiner Überraschung öffnete sich auch auf der anderen Seite eine ähnlich große Rampe und ein überdimensionales, mechanisches Exoskelett näherte sich ihm. Takoumi erschrak, er hatte Todesangst. Vor ihm war leblose Materie – doch nein, irgendwas gab diesem Koloss aus Stahl, pneumatischen Reglern und Verbindungseinheiten aus Corbinium eine Seele, ein Bewusstsein. Das Wesen selbst war winzig und sehr viel kleiner als er selbst. Die Maschine war seine Heimat, der einzige Weg um in der Welt des Materiellen bestehen zu können. Nun starrten sie sich an, Auge in Auge. Die Große Maschine, Takoumi und der Andere verborgen und hilflos hinter diesem Konvolut aus mechanischer Struktur. Er fühlte keinen Hass, keine Ablehnung, nur Neugier, kindliches Erfahrenwollen, naives Entdecken – kein Zweifel, kein unethisches Gefühl. Es war kristalline Reinheit, überirdisch, nicht mit menschlichen Sinnen erfahrbar oder mit menschlichen Worten beschreibbar. Die erste persönliche Begegnung, friedlich, gewaltfrei. Was blieb war Staunen.

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